Man kennt das aus alten Märchen: Wenn Feinde das Reich bedrohten, Dürre oder Hungersnot ausbrachen oder die Königstochter in Schwermut verfiel – kurz: Immer, wenn die Situation prekär wurde, ließ der König seine Ratgeber kommen und beriet mit ihnen, was zu tun sei.
Die Ratgeber waren unterschiedlichster Herkunft und Profession. Die Einen lebten am Hofe, andere als Eremiten in der Einsamkeit, wo sie sich in Selbstversenkung übten. Manche waren religiöse Männer, die eifrig die heiligen Schriften studiert hatten. Einige, mit seherischer Kraft gesegnet, konnten an Hand bestimmter Zeichen und Begebenheiten die Zukunft deuten. Etliche waren Philosophen, die Kraft ihres Geistes nach der Wahrheit, dem Wesen der Dinge und dem rechten Tun forschten. Alle aber waren ehrwürdige, erfahrene Männer, die das Leben, die Welt und die Menschen kannten und auf ihre Weise interpretierten. Jeder von ihnen hatte in seinem Leben viel gesehen, erlebt und gelernt.
Märchen kommen selbst in Kinderbüchern heute kaum noch vor, Königreiche mit unumschränkten Alleinherrschern, Prinzessinnen und Hofstaat sind ebenfalls so gut wie ausgestorben, aber sie gibt es noch: Berater!
Nur sind es heute nicht mehr ehrwürdige, lebenskluge und in der Sache kundige, alte, weise Männer mit Erfahrungswissen. Im Gegenteil: In der Regel sind es jugendliche oder sich betont jugendlich gebende, smarte, dynamische Analytiker, deren Köpfe vollgestopft sind mit akademischem Fach- und Methodenwissen. Sie treten forsch auf mit dem Anspruch, jedes Unternehmen sezieren, Schwachstellen sofort erkennen und nachhaltig ausmerzen zu können. Ihr Vorgehen ist praktisch immer dasselbe: Sie haben eine Methode, die sie mit eindrucksvoll klingenden Anglizismen und pseudowissenschaftlichen Begriffen propagieren. Mit dieser Methode werden die Probleme der Unternehmen in wissenschaftlich verbrämter Sprache beschrieben, analysiert und evaluiert. Aus der Evaluation ergibt sich dann ein Maßnahmenkatalog, dessen Umsetzung die Lösung der Probleme bringen soll.
Und noch einen Unterschied gibt es zu den Beratern, derer die alten Herrscher und Könige sich bedienten. Diese suchten den Rat der klugen Männer und holten sie als Ratgeber an den Hof. Den heutigen großen Unternehmen drängen sich die Consultants nachgeradezu auf. Sie formieren sich in Alumni-Netzwerken und schicken sich an, die Top-Management-Ebene vieler Unternehmen systematisch zu durchsetzen. Gewollt ist der schleunige Rollenwechsel vom Berater zum Vorstand. Von dort kommen auch die lukrativsten Aufträge, und das mitunter ohne echte Konkurrenz. Man ist unter sich.
Dass die schwierigste Aufgabe, nämlich die Umsetzung des Maßnahmenkatalogs, dem Unternehmen selbst überlassen wird und dass die vorgeschlagenen Maßnahmen wegen ihrer mangelnden Umsetzbarkeit die Lösung sehr oft nicht bringen, scheint niemanden zu stören. Auch scheint es nicht aufzufallen, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Lösung der Probleme in der Regel stets die gleichen sind, nämlich: Umstrukturierung nach World Class-Modellen, Konzentration auf Kernkompetenzen, Herunterfahren des Personalbestands, Benchmarking, Cash-Flow-Optimization, Outsourcing.
Die smarten Berater, die sich vornehmlich Strategy Consultants nennen und wie geklont in streng organisierten uniformierten Rudeln auftreten, werden trotz ihrer alles andere als moderaten Honorarforderungen immer wieder engagiert. Was noch mehr wundert, ist die Tatsache, dass den Managern in den Unternehmen, die doch zumeist eine wissenschaftliche Ausbildung genossen haben, die Fragwürdigkeit der Berater-Methoden nicht aufzufallen scheint. Bekanntlich lautet in der Wissenschaft das oberste Gebot: Die Methode muss sich dem Problem unterordnen, nicht umgekehrt. Das heißt: Es ist aus rein pragmatischen Gründen nicht zielführend, die Probleme eines Unternehmens, das ja, wie allgemein bekannt und immer wieder betont, einen lebendigen Organismus darstellt, nach einer mehr oder weniger willkürlich festgelegten, generell angewandten Methode lösen zu wollen. Die Lösung kann nur in der methodischen Berücksichtigung des jeweils individuellen Problems des jeweils individuellen Unternehmens mit seiner jeweils individuellen Geschichte, Struktur und Kultur liegen. Die Consultants, die der Lebens- und Unternehmenspraxis eher fremd gegenüber stehen, lassen dies souverän außer Acht. Sie sagen sich: Soll sich doch das Problem gefälligst meiner Methode anpassen!
Ein guter Berater sollte wie ein Lotse agieren, der, an Erfahrung, Wissen und Können dem Kapitän gleich, diesem den Kurs durch spezielle gefährliche Gewässer angibt. Den jungen Consultants fehlt es zumeist sowohl an Können als auch an Erfahrung. Was sie mitbringen, sind hauptsächlich theoretische Kenntnisse. Sie sind Leichtmatrosen, die als Kapitän anheuern, und bestätigen durch ihr Verhalten und ihr Tun den Sinnspruch: „Die besten Kapitäne stehen immer an der Pier“.
Für den teilnehmenden Beobachter mit gesundem Menschenverstand erhebt sich die Frage: Warum lassen sich kompetente Manager – gestandene Männer mit Erfahrung – bei ihren Problemen von unternehmerisch unerfahrenen Jungakademikern beraten (das Durchschnittsalter in großen Consultancies wie McKinsey liegt bei 32 Jahren), die Siriusweiten entfernt sind von Lebensklugheit und Weitsicht, und zahlen auch noch viel, viel Geld dafür? Oder sind es nur die Manageristen, weil sie sich selbst mangels Erfahrung und solider Fachkompetenz Entscheidungen von größerer Tragweite nicht zutrauen oder als Absicherung immer ein Alibi brauchen?
Freilich, externe Berater können als Sparringspartner und intellektuelles Korrektiv wichtig und nützlich sein, denn der Blick des Außenstehenden ist ungetrübt, er ist nicht beeinträchtigt von der Nahsicht dessen, der mitten im Geschehen steckt. „Am Fuße des Leuchtturms sieht man kein Licht“ sagt der Volksmund. Mit anderen Worten: Entfernung bringt die Dinge manchmal näher. Deshalb hat es bei den Mächtigen und Herrschenden immer Berater gegeben, nur: Jung und smart und praxisfremd waren sie nicht.